Dienstag, August 29, 2006

Schleiz

Hallo Zusammen,

gestern kam ich nur ungefähr 15km weit. Danach wollte ich mir ein Gasthaus suchen, weil ich die Schnauze voll hatte von Dauerregen und dem gefährlichen Gang auf der B2. In einem Restaurant traf ich einen Mann, der mich freundlicherweise mit seinem Auto ins nächste Gasthaus fuhr. Dort habe ich gut gegessen und geschlafen. Das Gasthaus liegt auf einer Anhöhe, wo die Windkrafträder auch heute sehr schön drehten. Am morgen hatte es fast geschneit, was mir auch heute die Lust nahm irgendwohin zu gehen. Da ich mitten im Nirgendwo war, beschloss ich den Bus bis nach Schleiz zu nehmen, mir dort Karten zu besorgen und einen Tag zu warten. Vielleicht wird das Wetter ja wieder besser, wer weiss. Ihr merkt im Moment habe ich wirklich den Megakoller. Der Tag hier könnte allerdings für mein Weiterkommen gut sein, da ich bereits eine Karte kaufen konnte und mir die Verkäuferin der Buchhandlung weitere Karten bestellte, die ich morgen werde abholen können. So werde ich in der Lage sein, wenigstens nicht mehr auf der Hauptstrasse gehen zu müssen, was schon sehr viel Wert ist.
Mittlerweile befinde ich mich in Thüringen. Hier war früher Grenzgebiet zwischen DDR und BRD, weshalb diese Umgebung nicht sehr dicht besiedelt ist. Man merkt schon hier, dass es einen Unterschied zu Westdeutschland gibt. Neue Einfamilienhäuser sucht man hier genauso vergebens, wie neue Strassen und teure Autos. Der tiefere Lebensstandard ist an allen Ecken und Kanten ersichtlich. Auch wenn man die Zeitung aufschlägt, macht sich die DDR bemerkbar. Beispielsweise las ich gestern einen Artikel über die Kinderbetreuungsstätten in den neuen Bundesländern. Offenbar gibt es hier viel mehr als in Westdeutschland. Ostdeutsche Politiker möchten dieses Angebot kürzen, was bei der Bevölkerung nicht auf Gegenliebe stösst, da dies eines der wenigen Gebiete ist, in denen man den Westdeutschen überlegen ist. Während man in Westdeutschland zwei Jahre auf einen Kinderplatz warten muss, gibt es hier keine Wartefristen. Für unter dreijähige gibt es eine Abdeckung mit Tagesplätzen von 30 Prozent, während es die westdeutschen nicht einmal auf fünf Prozent schaffen. Diese ständige Differenzierung von West- und Ostdeutschland ist mir übrigens schon früher aufgefallen. In ganz Deutschland wurde vor kurzem beschlossen einen Mindestlohn für das Putzpersonal festzulegen. Der Mindestlohn wurde für Westdeutschland um über einen Euro pro Stunde höher angesetzt als in Ostdeutschland. In der Zeitung gestern stand auch, dass über vierzig Prozent der Bürger in Ostdeutschland laut einer Umfrage jemanden aus dem näheren Umfeld kennen, der in Westdeutschland arbeitet. Solche Beispiele zeigen, dass es auch nach fünfzehn Jahren Wiedervereinigung noch sehr viele Baustellen und Gräben zwischen West- und Ostdeutschland gibt. Ich habe auch schon Sprüche von Westdeutschen gehört wie "baut die Mauer wieder auf" und ähnliches. Wie die Ostdeutschen über die Wiedervereinigung, den Kapitalismus, Demokratie usw. denken, weiss ich noch nicht, aber ich werde dazu sicher noch etwas in Erfahrung bringen können.
Noch etwas zur Natur hier. Die Landschaft hier ist geprägt von Hochebenen, auf denen sich grosse Landwirtschaftsflächen und Wälder befinden. Ausserdem ist hier in der Nähe der grösste Stausee Europas. Offenbar gibt es hier viel Wind, weil man überall auf den Hügeln Windkraftanlagen sieht. So nachdem ich es geschafft habe in vier Sätzen viermal das Wort hier zu benutzen, werde ich versuchen dies nun sein zu lassen. Wie sagt man doch gleich? Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen; auch hier nicht:).
Ich möchte mir aber trotzdem einen Orden verleihen. Und zwar für meine grosszügige Art das Wetter nicht Scheisse zu nennen. Im Moment macht es wirklich keinen Spass zu wandern. Ich weiss noch nicht wie ich das wieder hinkriege, aber ich denke, dass ich morgen dank dem neuen Kartenmaterial, wieder etwas motivierter an mein Tagewerk werde gehen können. Auch wenn es wieder regnen wird, werde ich wenigstens nicht mehr auf der Hauptstrasse gehen müssen. Die Buchhändlerin zeigte mir auf der Karte einen Weg, den ich benutzen kann, der auch sehr schön sei. Wenn es morgen nicht dauerregnen wird, so werde ich wohl auch schon viel mehr Freude haben, wieder rauszugehen und mich mit dem Wetter zu arrangieren. Am Wochenende solls ja wieder besser werden.
Noch etwas. Ich hätte gerne, wenn ihr in euren Kommentaren eine kleine Kritik zu meiner Art zu schreiben abgeben würdet. Es wundert mich nämlich schon, wie sich meine Beiträge lesen, wenn man nicht meine Erlebnisse im Kopf hat.

Gruss

Joel