Donnerstag, August 31, 2006

Gera 2

Hallo Zusammen,

wie ich merke, sind einige Leser besonders schnell im aufspüren neuer Einträge von mir. Es freut mich, dass immer noch ein Interesse da ist, meine Posts zu lesen. Allerdings merke ich, dass dieser Blog auch für mich sehr viel zu bieten hat. Ich bin schon fast fünf Wochen unterwegs und kann mich dank des Blogs viel einfacher in frühere Zeiten meiner Reise hineinversetzen. Das ist umso nötiger seit die Blasen an meinen Füssen langsam aber sicher vollständig geheilt sind. Da erinnere ich mich doch gerne an Wutöschingen, wo ich eine Blase am kleinen Zeh bis auf das Fleisch hinunter hatte.
Ich habe euch mehr zu Gera versprochen, kann aber nicht allzuviel darüber berichten, weil ich nach dem schreiben des ersten Eintrages zuerst einmal ein Zimmer habe finden müssen. Die Touristinformationsfrau konnte mir ein tolles Zimmer mitten in Gera vermitteln. Ich wohne im Burgkeller; dieses Gasthaus ist ganz speziell, wie ich herausgefunden habe. Das ganze Interieur ist auf Mittelalter gestylt, die Bedienung ist super freundlich und das Essen sensationell. Mittlerweile habe ich ein mit Frischkäse gefülltes Schweinefilet, einen Salat "damit das Korsett auch morgen noch passt" und eine grosse Kartoffel mit Streichkäse in meinem Bauch. Netterweise konnte ich auch meine Wäsche dort waschen, was ich eigentlich schon gestern tun wollte, aber die Landlady war nicht so aufgeschlossen wie meine bisherigen und heutigen Gastgeber.
Zum Standort des Burgkellers. Er liegt gleich am Marktplatz, an dem sich eine frisch restaurierte Kirche, das Standesamt und weitere Verwaltungsgebäude befinden. Drei Seiten des Platzes sind mit renovierten Gebäuden bestückt. Auf der vierten Seite steht aber ein Haus, das leer ist, eine bröckelnde Fassade und teilweise kaputte Fenster hat. Das meinte ich damit, dass sich hier alt und neu in Form von Gebäuden trifft. Witzig fand ich auch, dass ich vorhin ein Tram sah, das einen Mittelwagen mit Niederflureinstieg hat. Es war gross angeschrieben, dass dies das erste Tram mit dieser Technologie in Gera sei. Soviel zum modernen Rollmaterial.
Die Einkaufsmeile d.h. die Friederichsstrasse steht an solchen im Westen in nichts nach. C&A, BurgerKing, Subways usw. teilen sich die heissbegehrte Fläche im Geraer Zentrum.
Auf der Wanderung hierher habe ich auch einige Zeichen der Kommunistenzeit erkannt. So kam ich an einer Karl-Marx-Strasse, einer Friedrich-Engels-Strasse und einer vermutlich zurückgebauten, also nicht mehr vorhandenen, Statue vorbei. Ich vermutete, dass auf dem Sockel, der noch vorhanden war, einmal Lenin oder Stalin gestanden haben muss.
Dieses unfertige Element, das man hier an allen Ecken und Enden findet, wirkt auf mich irgendwie befreiend. Man hat das Gefühl, dass alles möglich sei. Überall möchte man etwas niederreissen, renovieren, verbessern oder die Geschichte dahinter kennenlernen. Nichts macht den Eindruck, als würde es schon ewig hier stehen und schon gar nicht, dass es irgendeinen Grund gäbe etwas so zu belassen, wie es im Moment ist. Die Menschen hier haben auch noch Träume. Keiner spricht davon, dass früher alles besser war. Alle sprechen davon, was sie in Zukunft noch machen, was ändern und welche Ideen sie noch verwirklichen möchten. Das tönt jetzt etwas euphorischer als es in Wahrheit wahrscheinlich ist, aber als mittlerweile Stadtberner wirkt diese Stadt schon sehr lebendig gegenüber Bern. Hier scheint der grosse Wurf noch möglich, hier ist Platz für Ideen und Visionen. Engstirnige Bewahrer und Denkmalschützer wären hier fehl am Platz. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man in Gera zwanzig Jahre darüber streiten würde, wie man den Bahnhofsplatz neu gestalten möchte. Ausserdem würde schon gar nicht einer daherkommen und per Verwaltungsentscheid einen Volksentscheid in Frage stellen.
Es ist schön zu merken, dass eine Reise auch immer wieder Horizonte eröffnet, von denen man vorher noch gar nichts gewusst hat. Was früher Gottgegeben schien, erkennt man plötzlich als Engstirnigkeit. Ich freue mich schon jetzt darauf noch weiter in der ehemaligen DDR spazieren zu gehen. Ich denke bzw. hoffe, dass ich noch mehr solcher Erlebnisse haben werde.

Gruss aus dem lebendigen Gera.

Joel

7 Comments:

Anonymous Anonym said...

Schade habe ich nicht gewartet bis zu Gera 2. Der Pioniergeist imponiert und macht offenbar auch dich lebendig. Super. Schlaf gut.
Andrea

10:29 PM  
Anonymous Anonym said...

Apropos Zivilstandsamt: Sandra und ich gehen morgen dorthin und werden heiraten!

Wie du ja weisst, findet das eigentliche Fest am 9. September statt. Gell du kommst auch? Wir würden uns sehr darüber freuen.

Ä Bäre-Gruess
Tobias u Sandra

10:53 PM  
Anonymous Anonym said...

Betreffend des Jammerns: Vorhin kam im Stefan Raab ne "Umfrage" zur neuen Popstars-Staffel (unter dem Motto Deutschland braucht neue Engel). Und dann fragten sie eben die Leute, wieso denn Deutschland neue Engel brauche.
Dann kam so ein älterer Herr und antwortete, was neue Engel? Für was? Die kosten ja nur Geld.

Eben, betreffend des Jammerns ;-)

10:56 PM  
Blogger berntoberlin said...

An Tobias und Sandra,

tut mir leid, aber ich kann meine Reise so kurz vor dem Ziel leider nicht unterbrechen, deshalb werde ich nicht an eurer Hochzeit sein.
Trotzdem alles Gute und Glückwunsch.
Joel

6:07 PM  
Anonymous Anonym said...

Hallo Joel,
habe gerade in meinem Blog ein Post über deine Wanderung geschrieben. Ich ziehe den Hut!Wann planst Du eigentlich, in Berlin anzukommen?

8:47 PM  
Blogger berntoberlin said...

Who the fuck is the rüdnitzer?
Sorry, weiss wirklich nicht wer du bist. Um auf deine Frage zu antworten; ich werde so ca. in 12 Tagen in Berlin sein, hoffe ich. Wobei ich in Leipzig sicher einen Tag bleiben werde.

9:17 PM  
Anonymous Anonym said...

Der Rüdnitzer ist täglicher Leser Deiner Posts und bloggt auf www.der-ruednitzer.de. Rüdnitz liegt an der B2, die Du seit Tagen immer wieder mal benutzt, allerdings nördlich von Berlin. Falls Du (was ich nicht annehme) bis nach Stettin oder an die Ostsee weitermarschierst, kommst Du hier durch. Viel Spaß noch!

1:39 PM  

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